Management von Long-COVID
Neue Erkenntnisse für das Management von Long-COVID: Unbekanntes akzeptieren

Released: March 13, 2023

Expiration: March 11, 2024

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Key Takeaways
  • Die Definitionen von Long-COVID sind nicht präzise, es fehlen diagnostische und prognostische Biomarker, und das Krankheitsbild wird oft mit anderen Krankheiten verwechselt
  • Patienten mit Long-COVID sollten in das Design ihrer individuellen Behandlungspläne und in therapeutische klinische Studien einbezogen werden

Vorsichtigen Schätzungen zufolge könnten zwischen 5 % und 10 % der COVID-19-Fälle (das sind mindestens 30 bis 60 Millionen Menschen weltweit) Long-COVID entwickelt haben. Das ist ein neues, langanhaltendes, wenig verstandenes, heterogenes und invalidisierendes postvirales Syndrom.

Aufgrund der anhaltenden Zirkulation der leichter übertragbaren SARS-CoV-2-Varianten lässt sich vorhersagen, dass die Long-COVID-Fälle in den nächsten Jahren weiter steigen werden. Das stellt das Gesundheitswesen vor enorme Herausforderungen, hat wichtige Auswirkungen auf die Wirtschaft der Länder, beeinflusst die Organisation der Arbeitskräfte und könnte zu soziopolitischen Unruhen führen.

Definition von Long-COVID
Eine einheitliche und robuste Definition von Long-COVID ist für die Pathogenese, Diagnostik und Entwicklung therapeutischer klinischer Studien unerlässlich, um die Behandlung der Patienten zu optimieren und ihnen Linderung zu verschaffen. Es ist ebenfalls wichtig, politische Entscheidungsträger darüber aufzuklären, wie die medizinische Versorgung am besten strukturiert und Ressourcen zur Unterstützung von Patienten mit Long-COVID und der Gesellschaft verteilt werden sollten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert die Post-COVID-19-Erkrankung gemäß Delphi-Konsens als ein Syndrom, das „bei Personen mit einer wahrscheinlichen oder bestätigten SARS-CoV-2-Infektion auftritt, in der Regel 3 Monate nach Beginn der COVID-19-Symptome, und für eine Dauer von mindestens 2 Monaten und nicht durch eine alternative Diagnose erklärt werden kann. Häufige Symptome sind Müdigkeit, Kurzatmigkeit und kognitive Dysfunktion sowie weitere Symptome, welche sich im Allgemeinen auf die Alltagsfunktionen auswirken. Die Symptome können nach der anfänglichen Genesung von einer akuten COVID-19-Episode neu auftreten oder nach der anfänglichen Krankheit bestehen bleiben. Die Symptome können im Zeitverlauf schwanken und es kann zu Rückfällen kommen.“

Die Entwicklung einer klinischen Definition ist ein gewaltiger Schritt vorwärts, aber immer noch unpräzise. Für sich betrachtet sind die meisten Long-COVID-Symptome unspezifisch, und deshalb lässt sich Long-COVID nur schwer von anderen Krankheiten unterscheiden.

Der Delphi-Konsens der WHO war nicht in der Lage, eine Mindestanzahl von Symptomen anzugeben, die erforderlich sind, um die Definition von Long-COVID zu erfüllen. Meine Erfahrungen bei der Betreuung von Patienten mit Long-COVID legen allerdings nahe, dass die Symptome meist als Symptommuster auftreten. In unserer Klinik tritt bei nahezu alle Patienten mit Post-COVID-Erkrankungen Müdigkeit und Dyspnoe auf, 30 % haben Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen und/oder neurokognitive Störungen, und etwa 20 % klagen über Brustschmerzen mit Tachykardie. Darüber hinaus treten Dysphagie, Dysphonie, Herzklopfen, Atemnot und Darmmotilität häufig zusammen auf, was auf eine Dysfunktion des Vagusnervs hindeutet.

Obwohl solche offensichtlichen Krankheitsbilder in großen, kuratierten klinischen Kohorten entsprechend validiert werden müssen, gibt es bei allen neue Hinweise auf Organizität. Gehirnnebel (Brain Fog) zeigt sich durch Veränderungen bei neuropsychologischen Tests und Magnetresonanz-Untersuchungen des Gehirns (MRT). Patienten, bei denen Angina (Brustschmerz) neu auftritt, zeigen oft subendokardiale Ischämie der kleinen Gefäße mit normalen Koronararterien bei myokardialen Adenosin-Stress-MRT. Herzklopfen entsteht häufig bei Patienten mit Sinus-Dysfunktion in elektrophysiologischen Studien. Patienten mit dem Krankheitsbild Vagusnerv-Dysfunktion haben oft einen verminderten maximalen inspiratorischen und expiratorischen Druck bei Lungenfunktionstests, Zwerchfell-Asymmetrien und eine langsamere ösophageale-gastrische-intestinale Passage bei bildgebenden Verfahren.

Viele unbekannte Faktoren
Postvirale Syndrome wurden zuvor bereits beschrieben, aber Long-COVID hat die größte Patientenlast von allen und hat spezielle Besonderheiten. Long-COVID muss vom sog. „Post-Intensive-Care-Syndrome“(PICS) abgegrenzt werden, obwohl sich einige Symptome wie Schwäche, Gehirnstörungen und psychische Herausforderungen überschneiden.

Während das PICS Langzeitfolgen nach intensivmedizinischer Behandlung beschreibt, hatte die überwiegende Mehrheit der Long-COVID-Patienten eine milde oder sogar asymptomatische akute Form von COVID-19 und musste nicht stationär behandelt werden, was darauf hindeutet, dass die Syndrome eine unterschiedliche Pathogenese haben.

Patienten mit Long-COVID leiden nicht einfach nur unter Depressionen oder erfinden ihre psychischen und/oder physischen Beschwerden. Bei psychiatrischen Untersuchungen erfüllen die meisten Patienten mit Long-COVID nicht die Kriterien für Angststörungen oder Depressionen, wenn sie erstmals vorstellig werden. Allerdings können Patienten später Angststörungen und/oder Depressionen entwickeln, insbesondere, wenn sie feststellen, dass ihre Beeinträchtigung fortbesteht und nicht besser wird. Long-COVID unterscheidet sich auch von Fibromyalgie in vielerlei Hinsicht. Wenn man diese Syndrome verwechselt, ist das für die Patienten nicht hilfreich.

Die größte Einschränkung beim Management von Long-COVID sind die derzeit fehlenden objektiven, klinisch bestätigten diagnostischen und prognostischen Biomarker. Während sich durch Tierstudien ein besseres Verständnis der Long-COVID-Pathogenese abzeichnet, hat das Fehlen einer klaren phenotypischen Definition oder Stratifikation beim Menschen zu Biomarkerstudien geführt, in denen häufig Patienten mit Long-COVID und PICS, Patienten mit Long-COVID und akutem oder frühem, postakutem COVID-19 sowie Patienten mit verschiedenen Long-COVID-Krankheitsbildern mit vermutlich anderer Pathogenese vermischt werden.

Derzeitiges Management von Long-COVID
Während wir darauf warten, dass diese komplizierte Situation verständlicher wird, gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie wir unseren Patienten mit Long-COVID helfen können.

Zunächst einmal müssen wir den Patienten glauben und einfühlsam sein. Seien Sie aufrichtig und gestehen Sie die derzeitigen Wissenslücken bei Long-COVID sowie das Fehlen spezifischer Therapeutika ein.

Zweitens müssen wir gemeinsam mit ihnen daran arbeiten, ihre durch Long-COVID verursachten Beeinträchtigungen zu überwinden. Die Patienten müssen an der Entwicklung und Umsetzung von klinischen Studien und Betreuungsplänen beteiligt werden. Es ist ebenfalls wichtig, ihnen eine patientenzentrierte, multidisziplinäre Betreuung anzubieten. Idealerweise sollte die Betreuung der Patienten in monografischen, multidisziplinären Long-COVID-Einrichtungen organisiert werden und Spezialisten für Infektionskrankheiten, Rheumatologie, Kardiologie, Pneumologie, Psychiatrie, Arbeitsmedizin und Rehabilitation umfassen. Kliniker und Primärversorger müssen gemeinsam an einer nahtlosen Fortsetzung der Betreuung arbeiten. Die Primärversorgung ist die wichtigste Säule beim Management von Long-COVID, aber effiziente Kreisläufe mit der Tertiärversorgung sind ebenfalls wichtig, um komplimentäre diagnostische Techniken wie MRT, respiratorische Funktionstests und andere Mittel bereitzustellen und andere Krankheiten auszuschließen.

Und schließlich sollten alle therapeutischen Interventionen für Long-COVID in einer randomisierten klinischen Studie getestet werden. Es ist sehr wichtig, solide Beweise zu produzieren, um herauszufinden, was bei Patienten mit solch einem komplexen Syndrom funktioniert und was nicht.

Was ist Ihre Meinung dazu?
Was ist Ihre größte Herausforderung bei der Diagnose von Patienten mit Long-COVID? Welche Management- bzw. Behandlungsstrategien haben Sie bei Patienten mit Long-COVID erfolgreich angewendet? Beteiligen Sie sich an der Diskussion, indem Sie unten einen Kommentar posten.